Vergleich von zwei Entlassungswellen - Covid und aktuelle
Written by Philipp Stirnemann on März 1, 2024 in Businessplanung

Bestehende Datengrundlage für den Arbeitsmarkt

Um den Zustand der Wirtschaft zu analysieren oder zu prognostizieren, werden verschiedenste Arbeitsmarktdaten herangezogen. In der Schweiz stellt das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) auf der Website amstat.ch die wichtigsten Arbeitsmarktzahlen übersichtlich zusammen. Von der Anzahl der registrierten Arbeitslosen, über die Anzahl der offenen Stellen bis hin zu den Daten zur Kurzarbeitszeit sind alle Daten vorhanden und abrufbar. Jedoch haben alle diese Daten gemeinsam, dass es sich um nachlaufende Konjunkturindikatoren handelt, d.h. sie reagieren erst mit Verzögerung auf die konjunkturelle Entwicklung und sind daher zur Prognose nur beschränkt nützlich.

Seit jeher wird daher nach vorauslaufenden Indikatoren gesucht, um zukünftige Entwicklungen zu prognostizieren. Viele dieser vorauslaufenden Indikatoren basieren auf Umfragedaten, wie beispielsweise der Einkaufsmanagerindex (PMI) oder basieren auf komplexen Analysemodellen, wie der KOF Konjunkturbarometer. In den USA wurde mit verschiedenen zusätzlichen Indikatoren experimentiert und einige davon haben unterdessen Eingang in populäre Finanzmarktdatensammlungen gefunden. Beispiele dafür sind die United States Job Quits oder die United States Challenger Jobs Cuts.

Abrechnungen Job Cuts

Für die Schweiz gibt es keine systematisch gesammelten Daten von Entlassungen bzw. von Stellenabbau. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die Sammlung dieser Daten eher praxisorientiert ist und daher einer wissenschaftlichen Prüfung nicht standhalten kann (zu den Schwierigkeiten der Datensammlung siehe Methodologie). Dazu kommt, dass die Datensammlung sehr arbeitsintensiv ist. Die Intuition sagt jedoch, dass auf Stellenabbau-Ankündigungen irgendwann auch eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit und damit eine Abschwächung der Wirtschaftsleistung folgen sollte. Entlassungsankündigungen kommen zeitlich definitionsgemäss vor den eigentlichen Entlassungen und diese wiederum speisen die Arbeitslosendaten.

Unser Tracker kann demnach sehr wahrscheinlich als vorauslaufender Indikator für die Arbeitslosigkeit und damit der Konjunkturentwicklung angesehen werden. Die Frage ist, wie verlässlich dieser Prädiktor tatsächlich ist. Gibt es allenfalls systematische Verzerrungen in den Daten? Wie lange ist der Time Lag? Und droht uns in der Folge eine Rezession? Und wie tief könnte diese ausfallen? Im Folgenden zeigen wir unsere aggregierten Job-Cuts-Daten und vergleichen diese mit bestehenden Arbeitsmarktdaten. In einem früheren Artikel haben wir bereits die Entwicklung der Firmengründungen in der Schweiz genauer analysiert und eine interessante Feststellung hinsichtlich der Art des Arbeitens gemacht.

Stellenabbau – weiter Zyklus seit Beginn der Datensammlung

Unsere Zeitreihe verfügt noch über keine allzu lange Historie, hat aber bereits die Covid-Krise, und damit einen ersten Zyklus, hinter sich. Nun zeichnet sich ein zweiter Zyklus ab – ein guter Moment, die beiden Zyklen miteinander zu vergleichen und allenfalls Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Der Covid-Schock ist insofern speziell, als dass es kaum eine Vorankündigung gab und der Schock sehr schnell eintrat. Die kurze Covid-Rezession dürfte darum in puncto Struktur einige Unterschiede zum aktuellen Zyklus aufweisen. Beispielsweise wurden während der Covid-Zeit viele Mitarbeiter in Kurzarbeit versetzt, was die Arbeitslosenquote vergleichsweise tief gehalten hat. Entsprechend waren auch die Entlassungsankündigungen kleiner und weniger, als dass man es ohne die ganzen staatlichen Stützungsmassnahmen hätte erwarten können.

In untenstehender Grafik lassen sich die beiden (Covid vs. aktuelle) Entlassungswellen vergleichen. Wir können sehen, dass die aktuelle Entlassungswelle im Ausmass die Covid-Entlassungswelle bereits übersteigt. In der Grafik ist zudem ein Moving Average (symmetrisch) der Entlassungen eingezeichnet, um die Sichtbarkeit des Trendverlaufs ein wenig zu erhöhen.

Was sagen traditionelle Arbeitsmarkdaten?

Wichtige Kennzahlen zum Zustand des Schweizer Arbeitsmarktes sind die Anzahl registrierter Arbeitsloser sowie die Anzahl der Beschäftigten in Kurzarbeit. Während die Kurzarbeit in der Tendenz eher bei kurzfristigen Flauten zum Einsatz kommt, werden Arbeitnehmer eher entlassen, wenn sich ein Niedergang als dauerhaft abzeichnet. Exemplarisch liess sich dieser Effekt in der Covid-Krise beobachten. Während die Arbeitslosigkeit kaum gestiegen ist, sehen wir in untenstehender Grafik, dass die Kurzarbeit förmlich explodiert ist. Dies hatte sicherlich auch mit den Spezialbedingungen zu tun, die damals von staatlicher Seite für die Beantragung von Kurzarbeit gegolten haben. Wenn man die vergangenen Krisen vergleicht, kann man generell feststellen, dass in einer Rezession entweder die Arbeitslosigkeit steigt oder die Kurzarbeit (oder beides).

Wenn man die jüngste Zeitperiode betrachtet – ungefähr ab März 2022 – stellt man fest, dass sich die Arbeitslosigkeit auf tiefem Level eingependelt hat und die Kurzarbeit fast vollständig verschwunden ist. Der leichte Anstieg der Anzahl Arbeitsloser in den vergangenen Monaten ist zudem saisonal zu erklären. Vordergründig liegt auf dem Arbeitsmarkt offenbar kein Problem vor und es herrscht Vollbeschäftigung. Das generelle Bild zeigt rekordtiefe Arbeitslosenquoten und Fachkräftemangel.

Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit
Quelle: amstat.ch

Folgt auf den Stellenabbau tatsächlich Arbeitslosigkeit?

Während Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit ein rosiges Bild des Arbeitsmarktes zeigen, zeigen die Daten zu den Job Cuts ein ganz anderes Bild. Wie passt das zusammen? In der Grafik sehen wir wieder die Kurzarbeitsdaten, diesmal mit dem Moving Average der abrechnungen Job Cuts (von der ersten Grafik). Während die Job Cuts Daten in der Covid-Krise ungefähr den Kurzarbeitsdaten (resp. den Arbeitslosendaten, hätte es die Spezialbedingungen zur Kurzarbeit nicht gegeben) folgen, sehen wir in den vergangenen Monaten zwar rekordhohe Ankündigungen zum Stellenabbau, jedoch noch keine Reaktion in gemessener Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit. Diese Diskrepanz ist erstaunlich, es gibt dazu jedoch einige Erklärungen:

Variante 1:

Die wahrscheinlichste Erklärung begründet sich in einem Time Lag zwischen Ankündigung von Stellenabbau und der tatsächlich gemessenen Arbeitslosigkeit. Eine Ankündigung erfolgt definitionsgemäss zeitlich vor der eigentlichen Entlassung. In diesem Fall wären die abrechnungen Job Cuts tatsächlich ein guter und zeitlich zu bestimmender vorauslaufender Indikator.

Variante 2:

Das Defizit an Arbeitskräften der vergangenen Jahre war so gross, dass die bisherigen Entlassungen noch nicht ausreichten, um das bestehende Defizit „aufzufüllen“. Die jüngst entlassenen Arbeitnehmer haben also bereits wieder eine neue Stelle finden können. In einem solchen Fall wären die Job Cuts auch ein vorauslaufender Indikator, jedoch wäre es schwierig, den Time Lag genau zu bestimmen, weil dieser dann mit der Höhe des Defizits in Verbindung stünde.

Variante 3:

Die Job Cuts zeigen keinen Einbruch in der Wirtschaftsaktivität, sondern nur eine Rotation des Arbeitskräfteeinsatzes bzw. einen Strukturwandel. Beispielsweise könnten gewisse Branchen Stellen streichen, während andere gleichzeitig diese wieder aufbauen, ohne dass in der Summe Arbeitsplätze verloren gehen. Mit den Job Cuts messen wir nur den Stellenabbau und keine Neueinstellungen.

Variante 4:

Eine Kombination von Variante 1-3.

Für die Variante 1 spricht, dass wir bei den abrechnungen Job Cuts Deutschland einen ähnlichen Effekt sehen, dieser jedoch um etwa 3 bis 4 Monate verzögert auftritt, obwohl Deutschland bereits früher in eine Rezession abgeglitten ist. Dies hat vermutlich damit zu tun, dass der Schweizer Arbeitsmarkt flexibler ist als der deutsche und darum die Unternehmen auf Krisen auch schneller mit Stellenabbau reagieren.

Quelle: amstat.ch; abrechnungen Job Cuts Schweiz

Ob unser Stellenabbau Tracker tatsächlich als valabler Prädiktor für die künftige Entwicklung am Schweizer Arbeitsmarkt oder für die Konjunktur generell herausstellt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Unseren Stellenabbau-Tracker, die aggregierten Daten und zusätzliche Analysen finden Sie hier (für die Schweiz) und hier (für Deutschland).

Kommentare